NUO überzeugt im Projekt InBiO

Interieur der Zukunft


NUO überzeugt im Projekt InBiO

Riesige Touchdisplays und Plastikschalter: so bedient man Autos heute. Für die Zukunft gibt es bessere Vorschläge. Ein interdisziplinäres Team aus den Bereichen Chemie, Industriedesign, Informatik und Textiltechnologie der Hochschule Reutlingen hat ein neues Bedienkonzept entwickelt. Es reduziert die Komplexität bei der Bedienung und besteht aus biobasierten Materialien.

Die Automobiltechnologie befindet sich im Umbruch. Im Bereich macht die zunehmende Interaktion zwischen Fahrzeugen, Nutzern und dem Internet eine immer größere Anzahl von Bedienelementen notwendig. Besonders augenfällig ist dabei das Armaturenbrett. Fahrzeuge der neuesten Generation übertrumpfen sich gegenseitig mit riesigen Bildschirmen, die sich fast einen Meter vom Platz des Fahrers über die Mittelkonsole bis zum Beifahrersitz hinziehen. Das sieht cool aus und greift das Bedienkonzept auf, das wir von Smartphones und Tablets gewohnt sind. Darunter in der Mittelkonsole drängt sich meist noch eine stattliche Anzahl von Schaltern. Ist das alles nachhaltig? „Nein“, findet Martin Luccarelli. Der Professor für Industrie- und Materialdesign an der Hochschule Reutlingen möchte ein neues Bedienkonzept entwickeln, das auf natürliche Materialien wie Textilien oder Holzfurnier setzt. Vor allem die Kunststoff-Spritzguss Schalter findet er nicht zukunftsweisend. Im Projekt „Interaktive, Biobasierte Oberflächen für das nutzerorientierte PKW-Interieur“ (kurz InBiO), das mit EFRE Mitteln der EU und des Landes Baden-Württemberg gefördert wird, entwickelt Luccarelli gemeinsam mit seinen Kollegen Lösungen und implementiert diese in einem Demonstrator.
Auch ein Pilotnutzer ist schon gefunden: er heißt Christian Peters, ist erfolgreicher Manager in einem mittelständischen Unternehmen, jeden Tag pendelt er von seinem Wohnort in einer kleinen Stadt zur Arbeit. Peters fährt gerne Auto, legt aber auch Wert auf Nachhaltigkeit. „Ein typischer Fahrer einer Mercedes E-Klasse“, findet die Designerin Franka Wehr, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Martin Luccarelli. Christian Peters ist eine erfundene Person, auch „Persona“ genannt, und steht für den typischen Kunden eines solchen Fahrzeugs. Seine Generation, die Quintastics, sei von den symbolischen Werten und affektiven Motiven beeinflusst, die mit dem Autofahren verbunden sind, und zeige ihr umweltfreundliches Verhalten durch den Kauf der neuesten sauberen Technologien, die auf dem Markt erhältlich sind.

Wehr hat die Mittelkonsole einer E-Klasse neu konzipiert. Auffällig: mechanische Schalter aus Plastik gibt es nicht. Stattdessen ist die Mittelkonsole mit Stoff bezogen, die Schalter sind aufgestickt. Es gibt drei große Tastfelder für die Steuerung der Klimaanlage, der Medienwiedergabe sowie für Optionen. Drückt man einen Schalter, leuchten darüber zwölf weitere Felder auf, die passend dazu mit weiteren Funktionen belegt sind, etwa für die Sitzheizung. Autos seien heute mit Bedienelementen überladen. Abschreckendes Beispiel seien neue Elektrofahrzeuge, bei denen man die Ausrichtung der Lüfterdüsen nur noch über den Touchscreen verstellen könne – mit bis zu fünf Bedienschritten. „Mit unserem Bedienungskonzept werden bestimmte Funktionen erst dann sichtbar, wenn der Fahrer sie braucht“, so Wehr. Die Firma ETTLIN, die Textilien mit Leuchteffekten herstellt ist offizieller Partner dieses Projekts. Die Firma Eissmann Automotive unterstützt das Forschungsteam beim Beziehen der Auto-Interieur-Komponenten mit den ausgewählten Materialien. Das Start-Up-Unternehmen NUO GmbH - ein Tochterunternehmen der in der Furnierbranche bekannten Muttergesellschaft Schorn & Groh GmbH – hat das Material für die Gestaltung des Demonstrators geliefert.
 Die Forschung beschäftigt sich intensiv damit, Werkstoffe und Produkte nachhaltiger zu machen. Weniger im Fokus ist meistens die Frage, ob die Kunden diese Nachhaltigkeit auch erkennen, denn nur dann – wenn überhaupt – sind sie bereit, dafür etwas mehr zu bezahlen. Oder anders gefragt: Wie muss ein Produkt aussehen, damit der Kunde es als nachhaltig wahrnimmt? Martin Luccarelli hat dazu eine klare Meinung: „Materialien müssen nicht nur nachhaltig sein, sie müssen auch nachhaltig wirken.“ Welche Herausforderung dahinter steht, hat die Textilingenieurin Martina Gerbig in Tests festgestellt. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin hat am InBiO-Projekt unter der Leitung von Kai Nebel gearbeitet. Er ist Experte für textile Verfahrenstechnik und Nachhaltigkeitsbeauftragter der Fakultät Textil & Design. Zusammen haben Gerbig und Wehr Probanden unterschiedliche Materialien vorgelegt und einschätzen lassen, ob diese nachhaltig sind oder eher nicht. Die Probanden lagen häufig daneben. So wurde ein Textil aus Zellulosefasern als wenig nachhaltig eingeschätzt. Franka Wehr weiß auch, warum: „Wenn ein Material glatt ist und glänzt, wird es eher als künstlich wahrgenommen, sind dagegen Fasern sichtbar und ist das Material rau und matt, wirkt es natürlicher.“ Für den Demonstrator wählten die Projektbeteiligten deshalb nur Materialien, die eine hohe Natürlichkeit ausstrahlen.
 Das Material NUO konnte dabei auf ganzer Linie überzeugen. Es ist ein sehr weiches, stoffartiges Furnier, besonders nachhaltig, ressourcenschonend und nachwachsend. Die warme Ausstrahlung des Holzes wurde von den Probanden als sehr positiv bewertet und stützt den Wunsch einer gemütlichen und entspannten Atmosphäre im Interior eines Fahrzeugs wie wir diese bereits von zuhause kennen.

NUO besteht aus hochwertigem Holzfurnier mit einer Stärke von 0,6 mm und einer rückseitigen Textilkaschierung, die mittels eines wasserbasierten Klebstoffs verbunden werden. Die Holzoberfläche wird anschließend mit einem grafischen Muster gelasert, was dem Material seine Flexibilität verleiht. Sechs Holzarten und vier Gravuren bilden die aktuelle Kollektion. Für den Demonstrator verwendete Luccarelli die Holzart Nussbaum in der Gravur T1L, welche mit einer Rastergröße von ca. 4 mm zu der größten der vier NUO Gravuren gehört.

Die Optik und Flexibilität des NUO Materials faszinieren, ungewöhnliche Formen und Rundungen lassen sich mühelos realisieren. Einen weiteren Vorteil bringt die durch den Produktionsprozess entstandene Perforation im NUO Furnier. Durch den Einsatz von Lichteffekten findet eine Interaktion mit dem Fahrer statt. Ein plötzliches Abbremsen ohne jegliche Vorwarnung beispielsweise wäre für die Insassen verstörend – durch einen vorherigen Lichtimpuls am Lenkrad oder auf dem Armaturenbrett wird diese Aktion softwareseitig kundgetan.

Nach Abschluss des Projektes wird der Demonstrator/Fahrsimulator langfristig weiterentwickelt um weitere Konzepte auch im Hinblick auf die Bedürfnisse der Textil- und Automobilindustrie am Standort Baden-Württemberg voranzutreiben. „Am Demonstrator sollen zukünftig in einer virtuellen Umgebung Strecken in der Stadt oder auf dem Land abgefahren werden, damit die Probanden die Haptik der biobasierten Bedienelemente be-greifen und er-fassen können“, so Luccarelli.

Martin Luccarelli lobt die Interdisziplinarität des Projekts: „Wir haben nicht nur gezeigt, dass man mit biobasierten Materialien und interaktiven Bedienelementen die Komplexität im Fahrzeug reduzieren und Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen kann, sondern wir haben auch von Anfang an als Disziplinen zusammengearbeitet, statt die Arbeitspakete nacheinander abzuarbeiten.“

Textquelle:
Müller, B. (2020) Textil statt Plastik. re:search, 3 (S. 24-25). Reutlingen: Hochschule Reutlingen.
Groß, S. (2021) ABSCHLUSS DES INTERDISZIPLINÄREN FORSCHUNGSPROJEKTES „INBIO". Hochschule Reutlingen.
https://www.td.reutlingen-university.de/de/aktuelles/news/news-td/210317-abschluss-des-interdisziplinaeren-forschungsprojektes-inbio/

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